Viele Paare brechen die Kinderwunschbehandlung wegen psychischem Stress ab
- Daniela Zeibig
- 31. Juli 2024
- 4 Min. Lesezeit
Wenn sich die Schwangerschaft nicht wie erwünscht und erwartet einstellt, reagieren Menschen sehr unterschiedlich darauf. Inwieweit und auch in welcher Intensität wir reagieren, ist äußerst komplex, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Zu diesen Faktoren zählen etwa eine genetische Veranlagung oder bestimmte Entwicklungs- und Persönlichkeitsfaktoren (psychosoziale Faktoren). Sprich, wie denken und lernen wir (Denk- und Lernmuster), haben wir einen relativ stabilen Selbstwert, inwieweit hatten wir in unserem Leben schon Verluste bzw. Lebenskrisen und wie sind wir damit umgegangen, haben wir dort gesunde Strategien erlernt oder nicht, wie gehen wir allgemein mit Stress um, in welchem Kontext trifft uns der unerfüllte Kinderwunsch – sprich, was ist sonst gerade in unserem Leben los, auf welchen „Boden“ fällt der unerfüllte Kinderwunsch. Und natürlich auch: Welche Bedeutung gebe ich dem Kinderwunsch für mein Leben und kann ich diese ändern, so dass es mir besser geht? Wenn Menschen eine hohe Verletzlichkeit haben (man spricht auch von Vulnerabilität) – also eine geringe oder geringere Toleranz gegenüber einem persönlich belastenden Ereignis oder einer Überforderungssituation wie einem unerfüllten Kinderwunsch – dann kann dies eine Depression oder starke Ängste bzw. sogar eine Angststörung auslösen.
Wenn Sie ein Mensch sind, der sehr gesund mit Krisen umgehen kann
Sie haben in Ihre Historie geschaut und festgestellt, dass Sie bislang immer sehr resilient waren und Krisen ohne Unterstützung gut gemeistert haben. Sprich, Ihre Lebensqualität war vielleicht kurz eingeschränkt, aber dann waren Sie wieder ganz der/die Alte. Dann könnte man meinen, es braucht keine Unterstützung von Extern. Aber: Viele Paare unterschätzen den Stress und die psychische Belastung, die ein unerfüllter Kinderwunsch oder gar eine Kinderwunschbehandlung mit sich bringt. Gleichzeitig überschätzen sie die Chancen. Das führt dazu, das sie die Kinderwunschbehandlung abbrechen, ohne dass es dafür medizinische Gründe gegeben hätte. Und viele davon bleiben ein Leben lang kinderlos, obwohl es vielleicht noch geklappt hätte. Das möchte ich unterstreichen. Hätten diese Paare eine psychosoziale Kinderwunschberatung aufgesucht, hätten Sie gewusst, was auf sie zukommt, hätten alle Informationen zu Statistiken und Wahrscheinlichkeiten gekannt, hätten gewusst, welche Möglichkeiten es gibt und zwar von einem unabhängigen Berater und hätten auch gewusst, wie sie die für sie passende Klinik finden können und worauf zu achten ist, auch im Prozess, hätten gewusst, welche Möglichkeiten sie in einem sehr strukturierten Prozess eben doch haben, um es in kleinen Dosen doch noch selbst gestalten zu können. Das kann in vielen Fällen einen fundamentalen Unterschied machen. Dazu kommt, dass es auch nicht klar ist, ob der 1. Versuch schon klappt. Ob noch ungünstige Diagnosen dazu kommen. Sprich, keiner weiß, wie lange es durchzuhalten gilt. Manchmal reicht die eigene Kraft vielleicht noch für einen 1. Versuch. Was aber, wenn die Kinderwunschbehandlungen über viele Jahre gehen?
Wenn Sie ein Mensch sind, der Krisen und Stress nicht so leicht bewältigt
Sie haben in Ihre Historie geschaut und festgestellt, dass Sie Krisen nur schwer bzw. nur mit therapeutischer Unterstützung gemeistert haben. Vielleicht hatten Sie sogar schon Depressionen oder starke Ängste bzw. eine Angststörung. Oder Sie sind den Weg des unerfüllten Kinderwunsches bereits ein Stück gegangen und die anfängliche Trauer wegen fehlgeschlagenen Versuchen einer Kinderwunschbehandlung hat das Ausmaß einer depressiven Episode angenommen. Auch der drohende Verlust der Erwartung einer Familie mit einem oder mehreren Kindern kann eine so große Hoffnungsklosigkeit und damit oft verbunden auch Ängste oder gar eine Angststörung auslösen, so dass der Alltag nicht mehr (gut) bewältigt werden kann. Dann ist es wichtig, dass Sie sich schnell eine therapeutische oder psychosoziale Unterstützung holen und nicht zu lange warten (Notfallnummern siehe unten). Auch eine psychosoziale Kinderwunschberatung kann helfen, zu schauen, ob und welche therapeutische Unterstützung sinnvoll ist.
Bei vielen Betroffenen, die eine unabhängige psychosoziale Kinderwunschberatung aufsuchen, hilft es bereits, wenn sie auf der einen Seite einen wissenschaftlich fundierten Überblick über Möglichkeiten bekommen, die Ihnen zur Verfügung stehen. Und wenn sie gleichzeitig erlernen, wie sie als Individuum, als Paar und auch im weiteren Umfeld (FreundInnen, Bekannte, KollegInnen) mit dem Thema umgehen können und sich abgrenzen können. Dazu kommt eine Entlastung auf emotionaler Seite. Das Wissen und Spüren, dass alle Gefühle, seien sie noch so unangenehm und/oder gesellschaftlich verschmäht (wie etwa Neid oder Scham) in Ordnung sind. Dass sie „normal“ sind in einer Lebenskrise wie einem unerfüllten Kinderwunsch. Dazu möchte ich vermerken, dass selbstverständlich nicht jeder Betroffene einen unerfüllten Kinderwunsch als Lebenskrise empfindet.
Es ist wichtig für Betroffene, genau hinzuschauen, inwiefern sie noch imstande sind, ihr Leben zu leben, ihrer Arbeit nachzugehen, inwiefern sie ihre Beziehung, ihre Freundschaften und Hobbies nach wie vor pflegen. Sicherlich kann es Phasen geben, wo wir uns mehr zurückziehen. Und auch Trauer, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung dürfen sein. Nur sollte dies ein gewisses Maß nicht überschreiten. Und wenn es Unsicherheit gibt, ob die Reaktion für einen selbst noch im Rahmen ist, so ist dies hier mein Appell, sich lieber kurzfristig professionellen Rat zu holen, um besser einschätzen zu können, wo Sie stehen und welche Unterstützung für Sie angemessen ist.
Die BKID hat einen Fragebogen herausgegeben, um für sich herauszufinden, ob eine psychosoziale KInderwunschberatung Sinn macht. Ich verlinke ihn hier.
Haben Sie die Vermutung, dass Sie depressiv sein könnten, dann können Sie hier einen anonymen Test bei der Depressionshilfe machen. Unter der Website die ich hier verlinke, finden sich auch Notfallnummern. Bitte warten Sie nicht, wenn Sie auch nur den leisesten Verdacht haben, dass Sie eine Depression oder Angststörung oder beides haben könnten.





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